Übergangsrituale
Übergangsrituale sind seit langem ein wichtiger Bestandteil der Kulturen indigener Völker auf der ganzen Welt. Diese Rituale spielen eine wichtige Rolle bei der Initiierung neuer Lebensabschnitte und finden vor allem dann Anwendung, wenn das Individuum seine Rolle in der Gemeinschaft und seine Identität neu definieren muss.
Die Geschichte der Übergangsrituale reicht bis in die Anfänge der Menschheitsgeschichte zurück. Im Laufe der Zeit entwickelten sich diese Rituale weiter und wurden zu wichtigen kulturellen Elementen und Traditionen der indigenen Völker. In allen indigenen Kulturen sind Übergangsrituale mit spirituellen Praktiken verbunden. Ein Beispiel dafür ist die Visionssuche, die bei vielen indigenen Völkern praktiziert wird. Bei diesem Ritual verbringt der Suchende mehrere Tage oder Wochen alleine in der Wildnis, um eine Vision zu empfangen und eine Verbindung zur spirituellen Welt herzustellen. So hofft er, Antworten auf wichtige Fragen des Lebens zu finden und seinen Blickwinkel zu erweitern. Ein weiteres Ritual ist z.B. die Medizinwanderung, auch die kleine Schwester der Visionssuche genannt, bei der mit Hilfe der Natur als Botschafterin Zeichen und Winke empfangen und individuell gedeutet werden. Auch die Aborigines begehen einen Weg als Ritual: die sogenannte songline, bei der den Kindern anhand von Geschichten bis zum Eintritt in das Jugendalter die sie umgebende Landschaft mit energiegeladenen, ja heiligen Orten beschrieben wird, um sie dann - im Rahmen ihres Übergangs - diese imaginäre Wegstrecke in der Realität erwandern zu lassen.
Vor allem für Jugendliche waren Übergangsrituale schon immer ein sehr wichtiges Ereignis, markierten sie doch das Ende des Kind-seins und den Eintritt in das Erwachsenenleben. So wurden Übergangsrituale auch zu wichtigen sozialen Ereignissen, die dazu beitrugen, die Gemeinschaft zu stärken und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern. Durch die Teilnahme an einem Übergangsritual wurden junge Menschen in die Gemeinschaft aufgenommen und erfuhren, dass sie Teil eines größeren Ganzen sind. Danach kam der ganze Stamm zusammen und feierte die Aufnahme des 'neu geborenen' Erwachsenen. In vielen indigenen Kulturen sind Übergangsrituale auch mit spezifischen Verantwortlichkeiten und Aufgaben verbunden. So besteht ein Übergangsritual der San darin, das erlernte Wissen bezüglich der Jagd und des Spurenlesens im Busch selbst über Wochen und Monate zu erproben, indem junge Männer alleine in die Wildnis gehen um dann mit ihrem ersten selbst erlegten Tier zurückzukehren. Damit ernähren sie zum ersten Mal aus eigener Kraft ihr Volk und kommen ihrer Aufgabe als Teil des Stammes nach.Für Mädchen gibt es die Mondhütte, eine Schwitzhüttenzeremonie unter Frauen, in der die erste Monatsblutung und damit das Frau- sein gefeiert wird.
Junge Menschen werden auf ihre neuen Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Gemeinschaft vorbereitet und lernen, wie sie sich als Erwachsene verhalten sollen.
Allerdings gibt es im Leben eines Menschen ja mehrere “Schwellen”, die es bewusst zu überschreiten gilt. Neben Hochzeit und Geburt eines Kindes ist dies der Spiegelachse des Lebensweges entsprechend auch der Übergang in das Alter, die reife oder auch die weise Phase des Menschen. Hier zeigt sich, was wir im Leben bereit waren zu lernen, was wir erfahren haben und weitergeben können zum Wohle der Gemeinschaft. Gerade heute, wo viele Menschen Angst haben vor dem Alter, vor Einsamkeit und Isolation, ja einer Art des Abgeschoben-werdens, gilt es, diesen Lebensabschnitt gemeinschaftlich, gesellschaftlich zu würdigen. Dem Medizinrad entsprechend liegt das Alter - vielleicht am ehesten der Zeitpunkt des Auszugs der Kinder oder der Renteneintritt - ungefähr im Westen und nimmt genauso viel Raum und Gewicht ein wie der Süden, die Zeit des Schaffens. Im Westen liegt auch Würdigung, Feiern der Geschenke und Dankbarkeit. Und deshalb erscheint es uns als sehr wichtig, auch diese Schwelle zu begehen und zu feiern.